Museum Reinheim

 .....zu Gast in der Vergangenheit.

Orte jüdischen Lebens in Reinheim - Die Anfänge jüdischen Lebens in Reinheim

Jüdisches Leben in Reinheim vom Spätmittelalter bis zur Reichsgründung

• Antisemitismus äußerte sich seit der Spätantike bis in die Neuzeit in christlichem Antijudaismus, der Juden vorwiegend aus religiösen Motiven ablehnt und dabei auch sozial und politisch ausgrenzt.

• Seit der Aufklärung werden Juden vorwiegend mit biologistischen und pseudowissenschaftlichen Begründungen als „Fremdkörper“ aus der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt. Erst mit dem Nationalsozialismus gab es eine mehr oder weniger ausgeformte, aber in keiner Weise haltbare Pseudo-Rassenlehre.

• Die Ursprünge der jüdischen Gemeinde in Reinheim liegen im Dunkeln. Die Grafen von Katzenelnbogen erhielten um 1300 das Recht, in ihrem Herrschaftsgebiet Juden anzusiedeln.

• Um diese Zeit sind auch die ersten Juden in Reinheim nachgewiesen. David und Isaak von Reinheim finden sich 1328 bzw. 1343-47 in Frankfurt in der „Germania Judaica“ belegt und wollten Bürger der Stadt Frankfurt werden. Daraus kann auf eine jüdische Gemeinde in Reinheim geschlossen werden, was aber nicht schlußendlich belegt ist, da sich danach die Spuren wieder verlieren.

• Seit ungefähr 700 Jahren sind Juden in Reinheim belegt. Aber erst seit ca. 1600 siedelten Juden mit ihrer Vertreibung aus den Städten in unserer Region auf dem Land an. Um 1550 sind drei jüdische Familien in Spachbrücken belegt. Für die Stadt Reinheim setzt die erste gesicherte Überlieferung mit dem Jahr 1606 ein. Dies ergibt sich aus der Stadtrechnung, wo 3 Gulden von einem namentlich nicht genannten Juden für das Wohnrecht gezahlt wurden. Nach der Stadtrechnung von 1626/27 wohnten sieben Familien in Reinheim, die für ihr Wohnrecht 18 Gulden entrichtet hatten.

• Nicht alle Juden kamen freiwillig nach Reinheim. In den Wirren des 30-jährigen Krieges suchten 13 Juden (mit ihren Familien) Unterschlupf in der befestigten Stadt wegen der Unsicherheit auf dem Land.

• Die jüdische Bevölkerung pflegte über Jahrhunderte ihre soziokulturelle Andersartigkeit in Religion und Riten, mit Hebräisch in der Religion und Jiddisch als Umgangssprache. Ihren Glauben durften Juden zudem nur eingeschränkt ausüben. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts war Glaubensfreiheit garantiert.

• Andersartigkeit von Minderheiten kann Aggressionen der Mehrheit hervorrufen. Ihre religiösen Riten blieben geheimnisumwittert und boten Anlaß zu bösartigen und haßerfüllten Spekulationen.

• Juden blieben nur geduldete Menschen zweiter Klasse und waren über Jahrhunderte nur leidlich akzeptiert. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung blieb marginal.

• Die Deklassierung war teilweise politisch gewollt. In Judenordnungen in Form von landgräflichen Dekreten aus den Jahren 1628 bis 1695 sind Diskriminierungen belegt.

• Das Landjudentum unterscheidet sich in soziokultureller Hinsicht vom Stadtjudentum. Für die Versorgung der Landbevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs, im Viehhandel und als Geldverleiher hatten  insbesondere Landjuden eine Brückenfunktion zwischen Stadt und Land.

• Es gibt Hinweise auf die Geschäftstätigkeit von Juden im Kreditwesen. Auch die Stadt Reinheim tätigte nach dem 30-jährigen Krieg zwischen 1648 und 1650  Bankgeschäfte mit Frankfurter Juden.

• Die weniger wohlhabenden Reinheimer Landjuden vergaben wohl eher geringere Kleinkredite in Verbindung mit ihrem Warenhandel.

• Nach 1668 bricht die Überlieferung für fast 100 Jahre völlig ab. Erst danach finden sich wieder Hinweise in den Gerichtsbüchern der Stadt und den Dörfern.

• Ungleichheit blieb über Jahrhunderte ein politisch motiviertes Prinzip. Dies äußerte sich u.a. auch in einer höheren Abgabenlast für Juden im Vergleich zu nichtjüdischen Bürgern: Sie brachten der Stadtkasse erheblich höhere Einnahmen aus Abgaben ein als einheimische Christen.

• Exemplarisches Beispiel für Benachteiligungen:

• In einem Register über Beisassengeld (Beisassen waren arme Einwohner ohne Bürgerrecht) wurden Reinheimer Juden stärker belastet und mußten 4 Gulden zahlen, statt nur 3 Gulden wie christliche Bewohner.

• Insgesamt mußten die Juden in Reinheim und den umliegenden Gemeinden mit vielfältigen Benachteiligungen und ungerechtfertigten Sonderabgaben leben.

• Eine Zäsur beginnt mit der napoleonischen Zeit mit mehr Freiheitsrechten für Juden.

• Im Großherzogtum Hessen wurde für den „Judenschutz“ eine eigene sehr detaillierte Verordnung erlassen. Die Antragsteller mußten eine Reihe von Bedingungen erfüllen, und vor Aushändigung des Schutzbriefes mußten die Juden während eines öffentlichen Termins  den „Huldigungs- und Verfassungseid“ leisten. Auch mußten sie beim Kreisamt bei Heiratsplänen eine Heiratsbewilligung beantragen.

• In Reinheim wohnen um 1810 vier jüdische Familien, Zuzug mit zunehmender Tendenz.

• Die Reinheimer Gemeinde war offenbar groß genug, um eine Synagoge zu unterhalten: Ein kleiner Versammlungsraum auf einem Privatgrundstück im Haus „An der Stadtmauer 5“. Nach dem Ortsgrundbuch war 1816 David Frohmann als Eigentümer eingetragen.

• 1823 wurde die Schulpflicht für jüdische Kinder angeordnet, so daß Schulgeld für die jüdischen Schüler erhoben wurde. Auch hier ist individuelle Willkür feststellbar:

• Der Schutzjude Moses Simon aus Georgenhausen beschwerte sich 1830 bei Gemeindevorstand und Landrat wegen zuviel geforderter Schulgelder.

• Der Lehrer hatte von jüdischen Kindern zusätzliches Schulgeld kassiert und in die eigene Tasche gesteckt.

• Der Landrat wies darauf hin, daß die Erhebung von Schulgeld Gemeindeangelegenheit sei, und er untersagte die willkürliche Erhebung.

• Die steigende Zahl von Juden hatte zur Folge, daß sie sich zunehmend ein eigenes Gemeindeleben und eigene Einrichtungen schufen. In Reinheim ist ein jüdischer Gemeindevorstand ab 1831 belegt, denn die Reinheimer Gemeinde war mit Abstand größer als die von Georgenhausen/Zeilhard und Spachbrücken.

• An jüdischen Vereinen gab es seit 1852 u.a. einen "Israelitischen Verein". Seit 1829 gab es eine Synagoge, und seit 1832 wurde ein Religionslehrer beschäftigt.

• Bereits 1837 wurde in Reinheim eine neue Synagoge in der Straße „Am Biet“ errichtet. Es ist ein repräsentativer zweigeschossiger Bau mit 50 Plätzen für Männer und auf der Frauen-Empore 32 für Frauen. Er bestand aus dem Betsaal, ein Bad im Erdgeschoß, im 1. Stock einem Schulsaal und der Lehrerwohnung.

• Damit konnte die Reinheimer jüdische Gemeinde noch vor der „Erklärung der bedingungslosen Religionsfreiheit“ durch den Darmstädter Landtag einen Neubau realisieren. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt, der zugleich als Vorbeter und Schächter tätig war.

• Die jüdische Gemeinde in Reinheim hatte sich wohl zunehmend stabilisiert, was auch zum Zuzug von außerhalb führte. Es gelang vielen jüdischen Bürgern bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, den Status als Klein- und Trödelhändler zu überwinden und sich einigermaßen gesicherte ökonomische Verhältnisse zu schaffen, bis hin zur Gründung von mittelständischen Unternehmen.

• Beruflich standen den Juden in den Städten bisher verschlossene Wege offen.

• Die Berufsbezeichnungen in Reinheim lauteten nun auf Händler, Kaufmann, Viehhändler, Metzger oder Steinschleifereibesitzer. In ihrer Bautätigkeit mit teils repräsentativen Gebäuden in Reinheim zeigten sich ebenfalls ihr gewachsenes Selbstbewußtsein und ihre gestiegene wirtschaftliche Kraft.

• Insgesamt aber ist zum Ende des 19. Jahrhunderts eine zunehmende Konsolidierung und Normalisierung des jüdischen Lebens in Reinheim und den Dörfern festzustellen. Die Juden nahmen zunehmend am öffentlichen Leben teil, was sich u.a. auch in den Mitgliederlisten der Vereine zeigte.

• Die jüdischen Gemeinden stabilisierten sich nach innen und öffneten sich in einem integrativen Prozeß auch nach außen. Mit der Zeit wurden Juden trotz aller Benachteiligungen zu einem festen Bestandteil des dörflichen Lebens. Gleichzeitig entfaltete sich ein eigenes jüdisches Gemeindeleben.

• Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts erreichten Juden eine gesellschaftliche Akzeptanz, die ihnen eine Integration in die bürgerliche Mitte und ein erweitertes Berufsspektrum ermöglichte.

Horst Philipp Bauer, Geschichtsverein Reinheim-Ueberau e.V.

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